Gestorben wurde zu Hause
Nicht nur das Leben, auch das Sterben fand früher anders statt. Altersheime gab es kaum, oft lebten drei Generationen unter einem Dach und gestorben wurde oft zu Hause. Die Anteilnahme der Dorfgemeinschaft war deutlich spürbar.
In meinen Erinnerungen sehe ich noch öfters "alte" Menschen vor mir, die ich noch knapp kannte. 60 oder 65 jährige Menschen sahen noch anfngs der 60er Jahre so aus, wie heutzutage unsere 75 oder gar 80jährigen. Das zeigt wohl den medizinischen Fortschritt sowie eine veränderte Ernährung und Lebensweise.
Viele, allenfalls sogar die meisten Menschen starben im eigenen Haus oder der Wohnung. SIe wurden von der Familie, der Dorfkrankenschwester und auch dem Arzt auf Hausbesuch betreut. Auch Leute, deren Leben in einem Spital zu Ende ging, wurden - soweit möglich, für die letzten Tage ihres Lebens nach Hause entlassen, oft mit der Bemerkung, sie könnten nun alles essen und trinken, das sie wollten.
Auch die nicht bäuerliche Gesellschaft war recht nahe an der Natur und erlebte das Leben und Sterben in der Natur wohl näher mit, als dies heute oft der Fall ist. Das seigte sich auch beim menschlichen Sterben.
Ich erinnere mich an zwei Personen, deren Schreie zwei oder drei Tage lang durch das halbe Dorf hallten, so dass man einfach hoffte, sie könnten endlich "gehen" und damit erlöst werden. Palliativmedizin oder die Gabye von Opiaten kannte man noch nicht oder gab aus anderen Gründen keine Morphine.
Wenn sich bei einer Person das Sterben ankündigte, so informierte man Nachbarn, Verwandte und Bekannte. Diese kamen dann oft zu einem Besuch, sassen am Bett der sterbenden Person und - je nach Situation - nahmen Abschied von ihr. Falls die oder der Sterbende in ein Koma fiel, schlief oder sonst nicht mehr ansprechbar war, so setzte man sich neben das Bett, hielt vielleicht die Hand der Person und redete ihr gut zu. Dann aber wandte man sich den Lebenden zu. Oft drehte man die Stühle vom Sterbenden weg und unterhielt sich über ganz profane Dinge, wie anstehende Hochzeten, Geburten oder die Ernte auf dem Feld. Damit signalisierte man sich gegenseitig, dass das Leben für die Anderen weiterging.
Nach dem Tod musste der Arzt die Leichenschau vornehmen und den Totenschein ausfüllen, in sehr, sehr seltenen Fällen die Polizei informieren. Das geschah nur bei Unfällen, Suizid oder Zweifeln, ob es ein natürlicher Tod gewesen sei.
Je nach Anlieferung des Sarges wurde die Leiche gewaschen, in ein Totenhemd ode ein nettes Kleid gelegt und dann im Bett oder bereits im Sarg aufgebahrt. Im Sommer wählte man dazu den kühlsten Raum im Haus, aus offensichtlichen Gründen. Nach dem Eintritt des Todes öffnete man ein Fenster oder einen Fensterflügel, so dass die Seele nach draussen konnte. Über Nacht stand eine brennende Kerze im Fenster, um de Seele die Orientierung zu erleichtern. Erst ab etwa Mitte der Siebzigerjahre kam es vor, dass man die Leiche in einem Kühkatafalk auf dem Friedhof bis zur Beerdigung aufbewahrte.
Eine eigentliche Totenwache fand bei uns im protestantischen Dorf nicht statt. Jedoch war es üblich, dass man als Nachbarn oder Freunde der Familie die Trauerfamilie besuchte und sich von der verstorbenen Person verabschiedete. Oft wurden auch Blumen mitgebracht, nicht nur als Schmuck, sondern auch um den allfälligen süsslichen Geruch des Todes etwas zu überdecken. Selbst empfand ich diesen Geruch nicht als störend, einfach als etwas Unbekanntes.
Am Tag der Bestattung kamen die Totengräber ins Haus und ein Leichenwagen mit Pferdegespann fuhr vor. Bereits versammelten sich die Trauergemeinde, wenn irgendwie möglich neben der Familie auch alle Nachbarn, Kunden und oft auch weitere Personen aus dem Dorf oder der Umgebung, die den oder die Verstorbene kannte. Nachdem der Sarg auf den Leichenwagen gehoben worden war, gruppierte sich der Trauerzug: Zuesrt die engste Familie, dann die Verwandschaft und Freunde, am Schluss die übrigen Personen. Zu Fuss begleitete man den Leichnam bis vor den Eingang des Friedhofs, sofern der Friedhof, wie bei uns neben der Kirche mitten im Dorf war. Man ging schweigend und stützte dabei oft Schwächere oder Familienangehörige, wenn einem das opportun erschien.
Falls jemand im Spital oder sonst auswärts gestorben war, traf man sich auf dem Friedhof.
Beim Abschied - sei es zu Hause oder auf dem Friedhof - gingen Verwandte und Freunde zum Sarg und betrachteten sich die Leiche nochmals durch ein kleines Glasfenster, das das Gesicht der Verstorbenen freigab.
Während des Trauerzugs läuteten die Kirchenglocken, wobei es auch hier Regeln gab. Bei einem Zug aus Schalchen begann das Geläute, sobald er vom Kirchturm aus auf der Luegeten sichtbar wurde, aus Richtung Ehrikon beim Rank im Wenk und im Dorf selbst, sobald sich der Trauerzug in Gang setzte. Das Überholen eines Trauerzugs war (und ist immer noch) verboten. Vor der Kirche trennte sich dann die Trauergemeinde vom Wagen und betrat die Kirche.
Die Totengräber legten den Sarg, Kremationen waren damals noch kaum üblich, ins Grab, deckten es mit Erde zu und schmückten das Grab mit den Kränzen und Blumengestecken, die angeliefert worden waren.
Nach dem Gottesdienst versammelte sich ein Grossteil der Gemeinde nochmals auf dem Friedhof, am Grab sprach der Pfarrer einige Worte, ein Gebet und den Segen. Dann gingen die geladenen Gäste ins Restaurant zum Trauermahl.
Hier noch einige weitere Informationen am Rande
Beim Leidmahl lebte man noch einmal die Gemeinschaft und die Solidarität mit der Trauergemeinde. Allerdings hatte es auch einen ganz praktischen Grund: Für viele der Trauergäste dauerten An- und Abreise teils recht lange, so dass eine Stärkung willkommen war.
In sehr seltenen Fällen endeten solche Bewirtungen auch etwas lebhafter. Oft trafen sich Verwandte, die sich seit Jahren nicht mehr gesehen hatten und dieses Wiedersehen, zusammen mit dem Wein, führte dann und wann durchaus zu einer gewissen Fröhlichkeit.
Der Friedhof in Wildberg, direkt bei der Kirche konnte Ende der Sechzigerjahre nicht mehr weiter benutzt werden. Die Erde war ausgelaugt und gelegentlich fand beim Stechen eines neuen Grabes durchaus noch Knochen, wie ganze Schädel oder sogar Teile einer Wachsleiche.
Deshalb und auch wegen Auflagen des Kantons musste darum ein neuer Friedhof erstellt werden. Es war die Zeit der Sechzigerjahre, des enormen wirtschaftlichen Aufschwungs und der Bevölkerungsexplosion. In der kantonalen Planung ging die Zürcher Regierung von einem weitergehenden Bevölkerungswachstum aus und plante eine "Oberlandstadt". Darin wäre das ganze Glatttal von Dübendorf bis Uster/Wetzikon zu einer neuen Stadt zusammengewachsen. Deshalb erhielt die Gemeinde Wildberg die Auflage, den Friedhof für eine Einwohnerzahl von 4'000 Personen auszulegen, damals lebten in der Gemeinde recht genau 680 Personen.
Ebenso musste die Gemeinde Kindergräber (beim alten Friedhof noch recht häufig anzutreffen) und ein "Katastrophenfeld" für bspw. Seuchen, Flugzeugabstürze etc. vorsehen. Der neue Friedhof wurde im Jahr 1968 das erste Mal benutzt.
Meine kurze, ganz persönliche Meinung
Den Unterschied im Umgang mit dem Tod, durchaus auch dem eigenen, spüre ich recht deutlich, wenn ich mit Leuten rede, die in der Stadt aufwuchsen oder die jünger sind als ich. Heute, so meine ich, wird der Tod viel mehr verdrängt, er wird nicht mehr so stark als natürlicher Teil des Lebens betrachtet und er findet deutlich anonymer statt, da meist in den Spitälern oder Heimen gestorben wird. Auch scheint mir das Sterben durch viele heute verklärt zu werden. Denn das "sanfte, zufriedene Einschlafen" findet halt oft nur dank sehr starken Medikamenten statt, was ich sehr begrüsse.
Memento mori, aber - gerade deshalb - geniessen wir unser Leben!