Unterschätzte Röntgenstrahlung
Die Gefährlichkeit radioaktiver Strahlung errechnete sich nahezu ausschliesslich aus statistischen Daten aus Hiroshima und Nagasaki, an denen im August 1945 Atombomben abgeworfen wurden.
Erst Mitte der 60er Jahre überprüfte ein Student diese statistischen Grundlagen und stellte einen Berechnungsfehler um den Faktor 10 fest. Das hatte nicht nur weltweit, sondern auch für uns Konsequenzen, nämlich bei den Durchleuchtungsaktionen und ... im Schuhgeschäft.
Durchleuchtungsaktionen
Die Tuberkulose war damals zwar bereits am Abklingen, jedoch nach wie vor eine Volkskrankheit. Übertragen wurde diese Seuche vorallem durch infizierte Kühe und deren Milch. Deshalb kontrollierte man die von den Bauern abgelieferte Milch und schlachtete beim Auftreten der Tuberkulose in einem Bestand alle Tiere. Das war zwar hart, aber wirkungsvoll.
Regelmässig, alle ein oder zwei Jahre, kam deshalb ein Durchleuchtungswagen in jede Gemeinde und die Bevölkerung liess sich dabei auf TB untersuchen. Dabei stellte man sich vor einen Schirm, wurde kurz "bestrahlt" und das war es dann.
Diese Aktionen hörten blitzartig auf, als der Rechenfehler entdeckt und damit Röntgenstrahlen als wesentlich gefährlicher als angenommen galten.
Röntgengerät im Schuhgeschäft
Die meisten bekämen wohl heute Schnappatmung.
In den Schuhgeschäften standen früher Röntgenapparate, so wie dieser hier. Im Wesentlichen war das von aussen her gesehen ein Holzkasten mit einem kleinen Podest. Man stellte sich hin, schob die Füsse in die untere Öffnung, drückte einen Knopf und voilà: Auf einem kleinen Schirm sah man seine Fussknochen und die Umrisse des Schuhs. So konnte man sofort sehen, ob der Schuh genug gross war oder nicht.
Selbstverständlich waren diese Apparate für mich als neugieriges Kind ein extremer Magnet. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie oft ich meine Füsse in diesen Kasten steckte und voller Begeisterung meine Knochen betrachtete.
Auch hier: Nahezu blitzartig wurden diese Kästen dann abgeräumt.
Dass diese Fehlberechnung erst so spät entdeckt wurde, ist aus heutiger Sicht erstaunlich, damals jedoch wohl nachvollziehbar. Es war die Zeit vor Computern, die Daten von zehn- oder gar hunderttausenden von Leuten mussten manuell erfasst und dann in die Statistiken eingerechnet werden. Der Rechenschieber lieferte zwar Resultate, bei der die Zahlenfolge auf drei oder vier Stellen genau stimmte, den Dezimalpunkt oder den Exponenten musste man jedoch im Kopf bestimmen. Dass hier ein Fehler passierte ist nachvollziehbar.
Die Konsequenzen waren gravierend:
Neue Strahlenschutzbestimmungen kamen, Sicherheitsvorschriften für AKWs und die Medizin wurden angepasst. Nahezu alle Röntgengeräte wurden ersetzt und erstmals verwendete man mehrfach beschichtete Röntgenfilme, die mit einer deutlich tieferen Dosis auskamen.